3
Dez
2010

Gefangen im eigenen Körper

Gerade habe ich das Buch "Taucherglocke und Schmetterlinge" zu Ende gelesen. In diesem Buch erzählt der 43jährige Journalist Jean-Dominique Bauby wie er die Welt nach einem Hirnschlag und dem Erwachen ins Locked-In-Syndrome erlebt. Seiner sämtlichen Sinne beraubt und vollständig gelähmt, diktiert er mittels Lidschlag des linken Auges sein Buch.
Der Autor verstarb kurz vor der Veröffentlichung seines Buches und hat den Erfolg, den es hatte, und der Film, der später daraus gemacht wurde, nicht mehr mitbekommen.
Dieses kleine Filmchen zeigt den Autor und lässt einen ermessen, wie furchtbar seine Lage war.

Heute habe ich mir überlegt, was ich in derselben Situation wollen würde. Da ich gelesen habe, dass das Locked-in-Syndrom (LIS) "nur" ein Uebergangsstadium sei, würde ich grundsätzlich weiterleben wollen. Wäre es wie bei Bauby die Endstation (in der er fast eineinhalb Jahre gefangen war), dann würde ich der Reanimation und Lebenserhaltung den Tod vorziehen und darum bitten die Beatmung abzustellen.
Wäre ich gefangen in meinem Körper, dann würde ich hoffen, die Technik sei so weit, mir einen Zugang zum "www" zu ermöglichen. Wenn man sowieso nur Geist und fast kein Körper mehr ist, dann ist das Netz meiner Meinung nach der beste Ort, um sich darin aufzuhalten.
Aber Gerüche und Berührung kann die virtuelle Realität natürlich nicht ersetzten. Und so würde ich mir wünschen, dass meine Umgebung mir die Welt an den Rollstuhl bringen würde: Orangenschalen, Tannenzweige, Muscheln, die noch leicht nach Meer riechen, den Geruch von neuen Autoreifen (!), frische Brezeln (auch wenn ich sie nicht essen könnte) und vieles mehr.
Ausserdem würde ich mir bergeweise Hörbücher und DVDs wünschen. Ich würde mir wünschen nicht mit einem Fernseher und der sich ständig wiederholenden Werbung gefoltert zu werden. Wenn Fernsehen, dann müsste es ohne Werbung sein, da sonst die akute Gefahr der Gehirnerweichung drohen könnte.
Wenn mein Geschmackssinn in Ordnung wäre, dann würde ich mir wünschen zumindest Geschmack von den verschiedendsten Speisen auf den Lippen und der Zunge zu schmecken, auch wenn es unmöglich wäre davon etwas herunterzuschlucken.
Und vielleicht wäre das der Moment, die alten Briefe aus meiner blauen Kiste zu holen und sie mir vorlesen zu lassen. wenn die Zukunft schon verschlossen ist, dann hat man ja immer noch die Vergangenheit.
Aber vielleicht wäre auch alles ganz anders und jeder Hinweis auf den Rest der Welt, der einfach weitermacht als wäre nichts geschehen, wäre eine Qual. Dann wäre es vielleicht gescheiter mir einen Meditationsmeister ans Bett zu wünschen und in Techniken der "Entselbstung" eingewiesen zu werden.
Wer weiss, was man in solchen Extremsituationen empfinden würde. Bleibt einem nur zu hoffen, dass man niemals in solch eine Situation gerät.

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Wüstenfuchs

Berner Platte und Chuchichäschtli

Die Schweiz, ihre Klischees, ihre Kultur und Politik durch die Augen einer Deutschen gesehen.

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