18
Mrz
2009

Bitterfotze II

Seit ich die Buchbesprechung gelesen habe, geht mir das Wort "Bitterfotze" nicht mehr aus dem Kopf. Es ist ziemlich krass, aber es trifft die Tatsachen genau. "Bitter" dadurch dass man sich zu viel zurücknehmen muss und nur ein Kinderleben führt. Die Süsse des Lebens geht verloren, wenn man nur noch dient. Und "Fotze" als die abfällige Bezeichnung für eine Frau. Rein auf ihr Geschlecht reduziert, zum gebrauchen. So fühlt man sich dann auch, wenn man wieder mal am rumbrüllen ist, weil einem alles zu viel wird: verächtlich angesehen, als dumme, hysterische Hausfrau, der die letzte Selbstachtung abhanden gekommen ist und die in aller Oeffentlichkeit ihre Hilflosigkeit zur allgemeinen Belustigung zur Schau stellt.
Bitterfotzig ist man, wenn man die Fragen seines Kindes zynisch kommentiert. Man ist es, wenn man kein Mitleid mehr mit dem kranken Ehemann empfindet, sondern nur noch denkt:"Der auch noch!". Die Bitterkeit hat einen erfasst, wenn man den Hund zusammenschreit, nur weil er spielen will. Und du merkst es, wenn dir völlig egal ist, ob die Sonne scheint oder nicht, du drinnen bist oder draussen, wenn dich keine Einladung von Freunden mehr interessiert und du das Gefühl hast deinen Körper nur noch durch pure Willenskraft am Versagen hinderst.
Wir Mütter in der Schweiz sind schon saudumm: jede hockt in ihrem Gärtchen/Häuschen/Zimmerchen und leidet alleine. Es ist tabu über die obengenannten Gefühle zu reden, da die anderen ja alle so perfekt sind. Aber vor wem sollten wir uns weniger schämen als vor anderen Müttern, die das genau gleiche erleben?
Schuld sind nicht wir. Unsere einzige Schuld ist, nicht zu erkennen, dass der Fehler nicht in unseren Köpfen liegt, sondern in einer Gesellschaft, die Kinderfeindlich ist und damit auch Mütterfeindlich.
Das ist zu krass? Nein, es ist zu wenig deutlich! Wenn dein Kind im Supermarkt schreit, erntest du böse und genervte Blicke, anstatt der völlig logischen Frage:"Was hat dein Kind? Kann ich dir helfen?"
Brauchst du 2/3 vom Gehsteig, weil du einen Kinderwagen und zwei Kinder bei dir hast, kommt ein alter Mann daher und stösst die Kinder auf die Seite, als wäre es sein Recht immer und zu jeder Zeit freie Passage zu haben. Dass er seine Dummheit nicht bemerkt ist klar, aber das auch sonst niemand von den Umstehenden sagt:"Hey, was erlauben Sie sich! Das geht nicht!" Fehlanzeige.
Du willst ins Restaurant mit deinem Herzallerliebsten und nimmst aus reinem Optimusmus deine Brut mit, dann wirst du mehr mit "in-Schach-und ruhig-halten" zu tun haben, als dein Essen zu geniessen.
Und das sind nur die kleinen Sachen. Mal ehrlich: wer möchte schon 7 Tage in der Woche à 10-12 Stunden Kinder betreuen? Und das gegen Kost und Logis? Ohne Anerkennung (Ah, du bist nur Hausfrau), ohne Rentenanspruch? Mit dem stark erhöhten Armutsrisiko, wenn die Trennung droht?
Ein Rezept habe ich keines, sonst würde ich es leben. Aber eines ist mir klar: Es sind verstaubte Annahmen, alte Ideen und Wertestrukturen in unseren Köpfen, die wir mangels Distanz gar nicht als solche erkennen, die uns an einer Veränderung hindern. Es ist immer noch so, dass Frauen auf ihren Beruf verzichten und sich der Kindererziehung widmen. Es ist nicht normal, dass beide den gleichen Anteil tragen. Es ist immer noch schwierig für Männer einen echten Teilzeitjob zu bekommen, speziell in den höheren Kadern (wo sie es sich leisten könnten). Vaterschaftsurlaub existiert so gut wie gar nicht. Es ist immer noch nicht allgemein übelich, dass grössere Unternehmen ihren ArbeitnehmerInnen Kinderkrippen und -gärten anbieten.
Die Schweizer Haltung zum Thema Kinder könnte man so zusammenfassen: Du hast Kinder? Selber Schuld!
Wüstenfuchs

Berner Platte und Chuchichäschtli

Die Schweiz, ihre Klischees, ihre Kultur und Politik durch die Augen einer Deutschen gesehen.

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