16
Mrz
2011

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker hat schon immer gut ausdrücken könne, was bewegt. Hier ein Text von ihm, der mir aus dem Herzen spricht:

Wie abgebrüht sind wir eigentlich schon?
Liebe Freunde, immer wieder habe ich versucht etwas zu schreiben in diesen Tagen, immer wieder starrte ich auf das leere Papier, unfähig meine Trauer, meine Wut, meine Zerrissenheit in Worte zu fassen. In solchen Momenten kann ich mich eigentlich nur no...ch am Klavier ausdrücken. Worte versagen. Und trotzdem will ich versuchen, euch meine Gedanken und Gefühlsstürme mitzuteilen. Wie abgebrüht sind wir eigentlich schon - und ich spüre das durchaus an mir selbst -, dass sich manchmal Entsetzen und Sensationslust die Waage halten? Sind wir noch dazu in der Lage, mit den Menschen auf der anderen Seite der Welt aufrichtiges Mitgefühl zu empfinden? Oder ist uns dies bereits abhanden gekommen, verdrängt von Egoismus und Besitzgier, Kaufrausch und Wettbewerb, immer auf der Suche, auch in der schlimmsten Situation noch ein privates Schnäppchen, welcher Art auch immer, zu ergattern? Können wir angesichts dessen, was sich hier vor unser aller Augen ereignet, überhaupt noch zur privaten Tagesordnung übergehen, gemütlich beim Italiener ein Glas Wein trinken und uns am aufkeimenden Frühling erfreuen? Oder sollten wir genau dies tun angesichts eines Geschehens, das uns deutlicher als je zuvor die Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins vor Augen führt? Manchmal, wenn es mir gelingt, mich tief in mich zu versenken, dann spüre ich diese Verbundenheit, spüre sie nicht nur in Gedanken, sondern im Herzen, genau da, wo die Empathie mit allem Lebendigen nun mal zu Hause ist. Dann aber frage ich mich wieder, ob das nicht auch nur Gedankenkonstrukte sind, eine Art rationale Verbundenheit mit dem Leid der anderen, ohne wirklich daran beteiligt zu sein. Wir müssen höllisch aufpassen, dass dieses Mitfühlen nicht einfach nur zu einem Lippenbekenntnis wird, wie ich es bei vielen Politikern und Wirtschaftsführern vermute. Vielleicht berührt uns das Leid der anderen nur deshalb, weil es uns selbst Unannehmlichkeiten bereitet: unser Wohlstand scheint gefährdet, wir werden uns einschränken müssen, Pfründe und Wahlen könnten verloren gehen. Diese Rücksichtslosigkeit, in die uns unser Wirtschaftssystem und unsere kriegerische Gesellschaft getrieben haben, hat uns schon lange durchdrungen. Wenn wir ehrlich sind, spüren wir nun, wie kaltherzig wir selbst bereits geworden sind. Auch wenn wir uns zu den Mitfühlenden, Engagierten und Wachen zählen – die letzten Jahrzehnte der hemmungslosen Egozentrik sind auch an uns nicht spurlos vorübergegangen. Immer wieder habe ich deshalb in meinen Liedern und Texten dazu aufgerufen, dass wir uns nicht nur politisch, sondern tief in uns selbst verändern müssen. Wie viel es in mir selbst noch aufzubrechen und zu verändern gibt, führt mir diese entsetzliche Katastrophe vor Augen. Diese Katastrophe muss uns wachrütteln. Nicht nur politisch, sondern in unserer ganzen persönlichen Lebensweise. Sie muss uns daran erinnern, dass wir nicht nur wirtschaftlich mit Ländern am anderen Ende der Welt verbunden sind, sondern zugleich mit all den Menschen dort und überall zutiefst verbunden sind. Es gibt kein Leid in dieser Welt, das nicht auch unser Leid wäre, kein Leid, das nicht auch von uns mit verursacht wurde und für das wir nicht verantwortlich wären. Bertolt Brecht bringt dieses menschliches Dilemma in den Zeilen seines Gedichtes „An die Nachgeborenen“ von 1939 zum Ausdruck: Man sagt mir: Iss und trink du! Sei froh, dass du hast! Aber wie kann ich essen und trinken, wenn Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt? Und doch esse und trinke ich. Ich hoffe, die Menschen in unserem Lande sind politisch klug genug, die hektischen Versuche unserer Regierung, das Wahlvolk doch noch für sich zu gewinnen, zu durchschauen. Ich traue keinem mehr, der noch vor einigen Monaten den Atomstrom für sicher verkaufte und sich von der Atomlobby bestechen ließ. Jeder kann und darf sich ändern und klüger werden. Trotzdem muss man diesen Menschen das Mandat erst einmal entziehen, um ihnen die Zeit zu geben, in sich zu gehen, sich zu besinnen und zu bereuen. Wie wärs mit einem Moratorium – für die ganze Regierung..... Ich umarme Euch Euer Konstantin P.S: Das folgende Lied habe ich vor 30 Jahren geschrieben.... Daß dieser Mai nie ende! Ach Sonne, wärm uns gründlich! Wir haben kaum noch Zeit, die Welt verbittert stündlich. Daß dieser Mai nie ende und nie mehr dieses Blühn - wir sollten uns mal wieder um uns bemühn. Uns hat die liebe Erde doch so viel mitgegeben. Daß diese Welt nie ende, daß diese Welt nie ende nur dafür laßt uns leben! Noch sind uns Vieh und Wälder erstaunlich gut gesinnt, obwohl in unsern Flüssen schon ihr Verderben rinnt. Auch hört man vor den Toren die Krieger schrein. Fällt uns denn außer Töten schon nichts mehr ein? Uns hat die liebe Erde doch so viel mitgegeben. Daß diese Welt nie ende, daß diese Welt nie ende - nur dafür laßt uns leben! Wie schön, der Lust zu frönen! Es treibt der Wein. Der Atem einer Schönen lullt mich ein. Daß dieser Mai nie ende und Frau und Mann, ein jedes, wie es will, gedeihen kann! Uns hat die liebe Erde doch so viel mitgegeben. Daß diese Welt nie ende, daß diese Welt nie ende - nur dafür laßt uns leben!

http://www.youtube.com/watch?v=taRvTYpVTOQ
Wüstenfuchs

Berner Platte und Chuchichäschtli

Die Schweiz, ihre Klischees, ihre Kultur und Politik durch die Augen einer Deutschen gesehen.

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