Köpfe

2
Sep
2010

Hilfssheriff

Der Kindergarten ist aus und weil ich gerade mit dem Auto auf dem Weg durchs Dorf bin, lade ich Füchschen ein...und seinen Freund Roni,...und seinen Freund Didi... und seinen Freund Urs... Als endlich alle Kinder sitzen sage ich zu ihnen:"...erzählt euren Mamis ja nicht, dass ich euch ohne Kindersitz 200m durchs Dorf kutschiert habe, die bekommen Nervenzusammenbrüche..." Die Kinder schauen mich fragend an, aber dass diese Einschätzung nicht so falsch war, werden sie in 1 Minute live miterleben.
Nach 200 Metern halte ich vor dem ersten Tor und wie es der Teufel so will steht meine Lieblingsmama gerade vor der Türe. Als ich ihr Söhnchen auslade, fragt sie mich auch prompt:"Wieso machst du so was?" Mit "sowas" ist das Verbrechen Kinder-ohne-Sitz-200-Meter-durchs-Dorf-kutschieren gemeint. Und sie setzt noch eins nach: "Wenn was passiert, zahlst du!" Ich sage: "Na klar! Da hast du vollkommen recht!" und schaue dass ich Land gewinne, sonst hätte ich ihr vermutlich den Autoschlüssel ins rechte Auge gebohrt.
Klar hat sie recht....rein rechtlich! Aber hey: wie kann ein Kopf derart quadratisch sein, dass man fünf nicht auch mal grad sein lassen kann? Ich stelle mir das Leben von Lieblingsmama enorm anstrengend vor. Oder sollte ich sie von jetzt an Hilfssheriff nennen?

21
Feb
2010

Malen & Malen

In den letzten Tagen habe wir einer alten Dame die Wände, die seit rund 40 Jahren keine frische Farbe gesehen haben, geweisselt. Fr. Becker ist 82, verwitwet und im wahrsten Sinne des Wortes alleinstehend. Heisst: sie steht sehr rüstig auf eigenen Beinen, das allerdings auch sehr einsam. Der Mann starb vor fast 10 Jahren, die Kinder wohnen am anderen Ende der Schweiz. Geblieben ist die Kirchgemeinde und der Herr Pfarrer als Ansprechpartner.
Während ich vor mich hinkleckste, umsorgt Fr. Becker uns:"Hier, trinken Sie! Selbstgepressster Saft. Einen Nussgipfel kann nicht schaden...!" Und wenn sie nicht gerade um unser leibliches Wohl besorgt war, dann sass sie in der Ecke und strickte an Kamelwolle-Socken für meinen allerliebsten Ehemann und erzählte aus ihrem Leben.
Am Freitag begleitete uns Wüstenfüchsen (der schon wieder einen Tag früher Ferien hat, da die Kinder Ueberstunden kompensieren müsssen.....aber das ist eine andere Geschichte). Zuerst hatte ich die Befürchtung, dass er sich schrecklich langeweilen und entsprechend Tamtam machen würde. Aber weit gefehlt! Fr. Becker erwiess sich als prima Ersatz-Grossmutter, die den kleinen beschäftigte und bei guter Laune hielt. Ein kleines Geschenk aus ihrer Ueberraschungskiste half natürlich auch (O-Ton Füchschen:"zuerst fand ich sie doof, aber jetzt find ich sie ganz lieb!").
Während wir im einen Zimmer fertig strichen, wuselte Fr. Becker im anderen, schon fertig gestrichenen, Zimmer umher, rückte Möbel, schleppte Teppiche an ihren angestammten Ort und putzte, wo zu putzen war. Ich habe wirklich gestaunt, woher dieses "Fraueli" ihre Energie nimmt.
Wer jetzt glaubt, dass diese emsige Geschäftigkeit und wohlmeinde Besorgnis lästig gewesen wäre, der hat weit gefehlt. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und diese sehr familiäre Atmosphäre genossen. So wäre es auch gewesen, wenn ich bei meiner Mutter oder Schwiegermutter die Wohnung gestrichen hätte.
Zu guter Letzt half Fr. Becker beim runtertragen der Malutensilien und der Abfälle. Dazu muss man wissen, dass sie, die Aelteste im Haus, im dritten und obersten Stockwerk wohnt. Dreimal lief das geschäftige Frauchen die Treppen hoch und runter, denn einen Lift gibt es in diesem alten Haus nicht.
Und am Ende ist sie dann noch ein viertes und fünftes Mal gelaufen, da Füchschen vom Rennen und Rutschen auf dem alten Parkett einen langen "Spriisse" (Spreissel) in der Zehen aufgelesen hatte und sie für unsere kleine "Operation" Desinfektionsmittel, Pflaster und Pinzette holen wollte.
Aber auch hier war ihre Hilfsbereitschaft noch nicht zu Ende: als ich in der Waschküche noch schnell meine Malerkleidung gegen meine sauberen Kleider vertauschen wollte und mich aus meiner, zugegenenermassen etwas engen, Maljeans quälte, hielt Fr. Becker mein Unterhöschen fest, als sie sah, dass es mit der Jeans zusammen meinen Hintern verlassen wollte. Das allerdings war dann doch etwas zu viel des Guten und ich versuchte mich hüpfend, lachend und mich aus der engen Hose windend aus ihrer Reichweite zu bringen.... Irgendwann war auch das geschafft. Füchschen war zufrieden, Fr. Becker hatte zwei erlebnissreiche Tage verbracht, ich hatte in angenehmer Atmosphäre die Arbeit erledigen können.....ach ja: uns die Wände waren weiss! (aber das war dann eigentlich schon nicht mehr so wichtig)

Und hier noch ein erstes Ergebnis meines Kurses in altmeisterlicher Maltechnik:
halbdurchsichtige Kugel in altmeisterlicher Technik
In dieser Uebung ging es darum Halbdurchsichtiges darzustellen. Gemalt habe ich diese Uebung in Acrylfarbe und werde das gleiche Bild noch mal in Eitempera machen, um den Unterschied sehen zu können.

2
Jul
2009

Flodders

Ich sitze im Strandbad des Dorfes und lasse mir die Sonne auf den Rücken scheinen. Wüstenfüchsen hat seinen Freund gefunden und ist irgendwo im Hintergrund zu hören. Ich geniesse die Minuten, in denen ich nur daliegen und dumm gucken kann. Allzu lange wird es ja nicht dauern und ich werde von einem "Mamaaaa!" zurück in den Alltag beordert.
Ich lasse träge meine Augen schweifen und bleibe an einer Dreier-Gruppe hängen. Ein alter Mann, eine alte Frau und ein jüngerer Mann. Für mich sehen sie wie eine Familie aus. Allerdings dürfte Frankenstein nicht weit entfernt sein in ihrem Stammbaum. Der Junge präsentiert eine enorme Wampe, die er weit über den Hosenbund seiner Badehose drapiert hat. Wenn er so wie jetzt dasitzt, mit dem Rücken zu mir, dann kann man sich überlegen, ob man in seinen "Füdlispalt" (Po-Spalte) ein Fünf-Frankenstück oder doch lieber ein Hundert-Frankenschein hineinwerfen will. Zu seiner Badehose trägt er Socken (vielleicht wegen der heissen Steinplatten?), was seine Attraktivität nicht gerade unterstreicht. Muttern ist dürr und trägt ein verschrecktes Gesichtchen zur Schau und an den Füssen ebenfalls Socken. Ehemals weiss, jetzt mit dunkelgrauer Sohle. Vater hat die Statur seines Sohnes, verbirgt den imposanten Bauch aber in einer Altmännerhose mit Hosenträgern. Seine Socken sind die am wenigsten erstaunlichsten, denn sie stecken in Schuhen.
Ich werde aus meiner Kontemplation gerissen, weil.... ich weiss es nicht mehr. Vielleicht hat ein Fisch an Wüstchfüchsens Angel geknabbert oder ein Käfer ist ins Wasser gefallen....
Als ich kurz drauf meine Betrachtungen wieder aufnehmen will, hat sich meine Familie Flodder aufgemacht eines der beiden Pedalos (Tretboot) zu entern, die man bei uns in der Badi mieten kann.
Vater humpelt an seiner Krücke über das Strändchen und kann mit Unterstützung den Rand des Bootes übersteigen. Der Weg zu einem der beiden hinteren Sitzplätze gleicht mehr einer Bergtour mit Seilschaft, als einer Vorbereitung zu einer Vergnügungsfahrt auf dem Thunersee. Sehr geduldig hilft der Sohn dem Vater über den Steuerknüppel, bewerkstelligt irgendwie dass sich der betagte Herr vor dem gewünschten Sitz in die richtige Position zum Absitzen drehen kann. Als Vater sitzt, nimmt Mutter als Bei-Treterin Platz und Sohn setzt sich, wie Vater, ebenfalls auf die linke Seite. Einen Schönheitsfehler hat die ganze Geschichte: das Pedalo liegt zu einem Drittel noch auf dem Strand! Aber Wüstenfüchsen hat mit seinen 4 Jahren schon erfasst, dass die Besatzung des Pedalos Hilfe braucht und schiebt wie ein Wilder am Heck des Schiffchens. Bei geschätzten 270kg Ladegewicht ein aussichtsloses Unterfangen. Ich springe in die Bresche und gebe Flodders den letzten Schubs.
Beim Hinausfahren des Pedalos grinse nicht nur ich: das Tretboot hat Schlagseite nach backbord. Die ca. 270kg verteilen sich wie folgt: zwei Mal 110Kg links und einmal 50kg rechts....
Als Sohn dann etwa 100m vom Ufer entfernt ins Wasser springt, bange ich um die beiden Alten. Der Abstoss des Schwergewichts katapulitert das Boot gut 10m weit nach hinten. Ohne Schwimmwesten und doch recht eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit, bezweifle ich, dass wir am Ufer schnell genug wären Vater und Mutter Flodder zu retten. Aber es geht alles gut. Nach gut einer Stunde legt das Pedalo an, Wüstenfüchsen hilft beim an Land ziehen, Vater schält sich aus Sitz und Boot und Muttern schreitet den Strand in ihren halb-weissen-halb-grauen Socken ab. Alles wie gehabt.

2
Mai
2009

Waltraud

Wenn Waltraud auftaucht, dann ist das kein Auftritt mit Glanz und Glamour und Ahs! und Ohs!, sondern dann hat das was von "Antritt auf dem Kasernenhof". Ihr eckiger Schädel, die Kurzhaarfrisur und das zackige Benehmen erinnert mich an einen kleinen Soldaten, der unbedingt das Ansehen seines Vorgesetzten eringen möchte. Auf Waltraud kann man sich verlassen, wenn sie sagt, dass sie um 11.15 da sein wird, dann kannst du deine Uhr danach neu stellen. Und wenn sie sagt, dass sie dir "umgehend das Geld auf dein Konto überweisen" wird, dann ist das für sie keine scherzhafte Floskel, sondern normaler Sprachgebrauch.
Waltraud ist 37, Lastwagenfahrerin und Lageristin und bestünde sie nicht auf "Waltraud", wäre ich sicher sie ginge auch als "Walter" durch.
Jetzt also hat Waltrauds Chef das Hobby Gleitschirm fliegen (oder wie wir in der Schweiz sagen: gleitschirmle). Nach gezielten Fragen (oder wars doch eher eine Befragung?) fand Waltraud heraus, dass sie dieser Sport interessieren würde. Und so landete sie im Lehn und in einer der Flugschulen vor Ort. Es sei ein "besonderes Erlebnis" für sie gewesen, den Schirm an dem Ort auslegen zu dürfen, an dem sie zum ersten Mal mitgeflogen sein. Sie ist sehr begeistert und um sie muss man sich keine Sorgen machen. Selbst wenn es in der Luft ein bischen rüttelt wird Waltraud nicht verängstigt am Boden landen, sondern konzentriert und leistungsbereit mit den Elementen kämpfen. Für einen Fluglehrer, der schon manche Pilotin an die Elemente "verloren" hat, ein Glücksfall.
Mir gefällt Waltraud, weil sie so anders ist, aber sie ist mir fremd wie eine Schildkröte.

Und hier noch mein Bild des Tages:

Lehn Bodenhandling

Gleitschirmschüler beim Bodenhandling am Landeplatz Lehn

1
Mai
2009

Wuchtbrumme

Kennt ihr sie diese seltene Spezies von leicht übergewichtigen Frauen, die ihre ganze Körperlichkeit mit Selbstbewusstsein vor sich her tragen? In meinem Freundeskreis gibt es eine Frau, knapp über 20, die wie ein Meteoreinschlag in einer gemütlichen Runde wirkt. Sie zieht die Blicke auf sich, nicht weil sie eine überragende Schönheit wäre, sondern weil die Tiefe ihres Dekolletees an Fangnetze und die glitzernde Bläue über ihren Augen an Sternschnuppenregen denken lässt. Und ihr Temprament und ihre Offenherzigkeit im doppelten Sinne bleiben nie lange unbemerkt.
Heute kam sie ohne Umschweife auf das, für sie im Moment wichtigste, Thema zu sprechen: S*e*x (ich "sterne" den Begriff und alle nachfolgenden, da ich nicht möchte, dass diese Seite über diese Wörter gegooglet werden kann. Tuts also auch in den Kommentaren, so denn es welche gibt). Und nicht S*e*x in seiner Blümchenvariante, sondern B*on*da*ge (Fesselung), S*M und L*ack und Le*d*er. Das sind ihre Vorlieben. Sie sprach darüber, wie andere über ihre Vorliebe für Lasagne oder Fisch sprechen würden. Gekichert haben nur wir doppelt so Alten und offenbart hat nur sie, was sie mag, wie sie dazu kam und wer ihr zur Erfahrung verhalf. Wir gackerten, staunten und verdrehten die Augen, wie die unerfahrenen Teenager, die wir mal gewesen waren.
Ich bewundere ihre Lässigkeit, mit der sie sich über das Urteil von anderen hinwegsetzt und lebt, was ihr gefällt. Ich glaube kaum, dass sie stellvertretend für die Generation der 20jährigen steht, den die sind, nach meiner Erfahrung, nicht experimentierfreudiger als es die Generation der heute 40jährigen war/ist. Ich glaube sie steht einfach für sich selbst. Sie hat eine körperliche Präsenz, die ihre Pfunde vergessen lässt. Sie kann ein tiefes Dekolletee und Speckröllchen unterm nabelfreien Top gleichzeitig tragen, ohne dass es ihrer fast tierischen Ausstrahlung Abbruch tut.
Sie ist eine Wuchtbrumme, die Leichtigkeit in das allzu verkrampfte Thema S*e*x bringt.
Wüstenfuchs

Berner Platte und Chuchichäschtli

Die Schweiz, ihre Klischees, ihre Kultur und Politik durch die Augen einer Deutschen gesehen.

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